Olga Grjasnowa über ihren Debütroman Der Russe ist einer der Birken liebt (2012)
Olga Grjasnowa über ihren Debütroman Der Russe ist einer der Birken liebt (2012)
Dann wurde ich wider Erwarten doch Schriftstellerin und begegnete dem Begriff „Migrationsliteratur“: In Deutschland ist sie stets eine Literatur, die anders ist, die nicht dazugehört, nicht biodeutsch ist. Die Gemeinsamkeit der „Migrationsliteratur“ ist übrigens nicht etwa eine ästhetische oder thematische, sondern ihre Herkunft, die überall liegen kann, außer in Deutschland.
Olga Grjasnowa, Privilegien, 2019
In dem Videointerview spricht Olga Grjasnowa über ihren Debütroman Der Russe ist einer der Birken liebt (2012). Sie erzählt davon, wie es war, ihren ersten Roman zu schreiben und diskutiert leitende Motive wie die Migrationserfahrung, die Verunsicherung der Identität und das Erleben von Gewalt. Dabei wehrt Grjasnowa sich immer wieder gegen eindeutige Zuordnungen zu normativen Konstrukten wie Nation, Kultur oder Ethnie.
Diese Haltung kennzeichnet auch die drei Hauptfiguren des Romans, Mascha, Sami und Tal. Sie zählen zur postmigrantischen Generation: Ihre kulturelle Zuschreibung ist hybrid, changiert zwischen deutsch, jüdisch, kaukasisch und orientalisch. Sie wollen sich nicht auf eine Identität festlegen, jedoch scheint sie dies in keiner Weise zu befreien – nicht von den Ansprüchen der Familie, den Vorurteilen der Gesellschaft, den Auswirkungen der Politik und nicht zuletzt den eigenen Erwartungen.
Nach einem erschütternden privaten Erlebnis unternimmt Mascha eine längere Reise nach Israel und erlebt den andauernden Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern hautnah mit. In dieser unsicheren Welt sucht sie nach Stabilität und findet sie in der Sprache. Denn „das Einzige, worauf sie sich verlassen kann in dieser Situation“, erklärt Olga Grjasnowa im Videointerview zum Roman, „ist die Sprache. Natürlich ist es auch, dass je mehr Sprachen oder je mehr Kulturen sie kennt, desto flexibler ist sie. Sollte mal wieder etwas passieren, kann sie schnell in ein anderes Land und sich dort anpassen“.