Protokoll zum ZK-Beschluss über die Ausbürgerung Wolf Biermanns (1976)
Protokoll zum ZK-Beschluss über die Ausbürgerung Wolf Biermanns (1976)
Als ich […] auf der Autobahn im Dienstwagen des Chefredakteurs der IG-Metallzeitung Jakob Moneta saß, dessen Fahrer mich nach Bochum zum zweiten Konzert dieser kurzen Westtournee brachte, da spielte ich am Autoradio rum und hörte die Nachrichten mit der Meldung: Biermann ausgebürgert... Ich war gelähmt, mir wurde übel vor Angst. Aus! Alles aus! Leben vorbei.
Wolf Biermann, Ausbürgerung, 2006
Am 16. November 1976 gab Erich Honecker in der Sitzung des Politbüros des Zentralkomitees der SED die Ausbürgerung des Dichters und Liedermachers Wolf Biermann bekannt. Das zugehörige Protokoll dokumentiert dies unter Punkt 4 und vermerkt als damit verbundene Anordnung die Bestätigung einer entsprechenden Pressemitteilung. In der Anlage des Protokolls wurde die Maßnahme mit dem Verweis auf das Staatsbürgerschaftsgesetz der DDR begründet, demzufolge „Bürgern wegen grober Verletzung der staatsbürgerlichen Pflichten die Staatsbürgerschaft der DDR aberkannt werden kann“. Der konkrete Anlass war Biermanns Auftritt bei einem Konzert in Westdeutschland wenige Tage zuvor, bei dem seine oppositionellen Lieder auf ein großes Medienecho stießen. In der DDR war der Künstler seit 1965 mit einem öffentlichen Auftrittsverbot belegt.
Die Ausbürgerung Wolf Biermanns gilt heute unter vielen Zeithistorikern als prägender Einschnitt in der Geschichte der ostdeutschen Protestbewegung. Seine Ausweisung wird im Rückblick – wie es der Schriftsteller Jurek Becker formulierte – oft als „Anfang vom Ende der DDR“ bewertet: Der öffentlichkeitswirksame Protest vieler Kulturschaffenden läutete eine neue Phase in der Reflexion der bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse im real existierenden Sozialismus ein: War die Haltung vieler Künstler und Intellektuellen – bei aller Kritik im Detail – zuvor meist von wohlwollender Solidarität geprägt, wandelte sich diese nach 1976 zusehends zu einer desillusionierten Frontalopposition. Nach Biermann verließen zahlreiche bekannte Künstler der DDR das Land gen Westen.