Die Lyrikerin Emma Kann
Die Lyrikerin Emma Kann
Über Emma Kann weiß ich, dass sie am 25. Mai 1914 in Frankfurt am Main geboren wurde und dort aufwuchs. Von 1933 bis Frühjahr 1936 lebte sie in England. Als Emma Kann 1936 in der Weihnachtszeit ihre Mutter in Frankfurt besuchen wollte, wurde ihr trotz eines gültigen Reisepasses die Einreise verwehrt. Sie musste fliehen.
Ich kann mir nicht vorstellen, wie schwer es gewesen sein muss, nicht in das Land gelassen zu werden, in dem man geboren wurde, und wäre sehr traurig gewesen, meine Mutter nicht wiedersehen zu können. Vielleicht wäre ich auch wütend über diese unbegreifliche Situation gewesen. Ich hätte große Angst um meine Mutter gehabt.
Emma Kann emigrierte nach Frankreich. Allerdings wurde sie vorher vier Wochen im Pyrenäen-Lager Gurs interniert. Davon handeln viele ihrer Gedichte. In ihren "Erinnerungen an das Lager Gurs" beschreibt sie ihre Erlebnisse:
„Die Verhältnisse waren sehr primitiv. Unser îlot enthielt ungefähr 25 große Holzbaracken, in denen 60 Frauen Unterkunft finden konnten. Wir schliefen oder saßen auf Strohsäcken auf dem Holzboden der Baracke. [...] Ich hatte manchmal ein deutliches Hungergefühl und bemühte mich dann, mit meinen Energien sparsam umzugehen. Aber ich dachte, daß dies in den Kriegswirren vielleicht unvermeidlich war und daß sich in Frankreich zu diesem Zeitpunkt sehr viel Schlimmeres abspielte." (Emma Kann: "Meine Erinnerungen an das Lager Gurs". In: Exil, XV (1995), 2, S. 26)
Diese Beschreibung von Emma Kann bedrückt mich. Die Lebensumstände waren für Menschen unwürdig. Doch Emma Kann versuchte sich mit ihrem Leiden abzufinden, weil sie glaubte, dass es anderen vielleicht noch schlechter erging.
Nach ihrer Entlassung aus dem Frauenlager Gurs blieb Emma Kann bis 1942 in Frankreich und emigrierte dann über Casablanca nach Havanna, wo sie als Lehrerin arbeitete. Von 1945 bis 1981 lebte sie in New York.
Es muss sehr schwer sein, wenn man keine Heimat mehr hat und immer wieder den Ort wechseln muss. Jedes Mal muss man neu ankommen und sich zurechtfinden. Emma Kann wartete sehr lange, bis sie Anfang der 80er Jahre doch wieder nach Deutschland zurückkehrte. Ich frage mich, was sie dazu bewog.
Mit diesem Ortswechsel war auch die Rückkehr zur deutschen Sprache verbunden. In ihren Gedichten und Essays beschäftigt sich Emma Kann mit ihrer Emigration und den Stationen ihres Lebens.
Ich könnte mir vorstellen, dass es für Emma Kann nicht leicht war, nach so vielen Jahren wieder die deutsche Sprache zu benutzten. Vielleicht hatte sie ja auch vieles verlernt. Kann denn ein Mensch, der nicht das Gleiche erlebt hat, ihre Gedichte überhaupt verstehen?
Bereits 1991 hatte Emma Kann damit begonnen, ihre Arbeiten an das Deutsche Exilarchiv 1933-1945 der Deutschen Nationalbibliothek zu übergeben. Unter diesen Unterlagen befinden sich ihre in England, Belgien, Havanna, New York und Deutschland entstandenen Gedichte, autobiografische Schriften, Essays zu verschiedenen Themen, Tagebücher sowie Lebensdokumente.
Es war sehr vorausschauend, dass sie ihre Werke vor ihrem Tod dem Exilarchiv gab. Ich frage mich, welche Gefühle das in ihr ausgelöst hat.
Am 19. Januar 2009 starb die Lyrikerin Emma Kann im Alter von 94 Jahren in Konstanz.
Emanuel