Tagebuchseite: Klaus Mann, 19. September 1940
In seinem Tagebuch notiert der Schriftsteller Klaus Mann am 19. September 1940: „Übrigens sind diese geringen Notizen ja das Einzige, was ich in meiner Sprache noch schreibe - ausser ein paar Briefen...“ Ab dem 19. März 1942 wird er auch diese Aufzeichnungen in englischer Sprache fortführen.
Monacensia. Literaturarchiv und Bibliothek München, mit freundlicher Genehmigung von Frido Mann, © Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg

Sprache

Es sprach zum Mister Goodwill
ein deutscher Emigrant:
"Gewiß, es bleibt dasselbe,
sag ich nun land statt Land,
sag ich für Heimat homeland
und poem für Gedicht.
Gewiß, ich bin sehr happy:
Doch glücklich bin ich nicht."

Mascha Kaléko, Der kleine Unterschied, aus dem Nachlass


Sprache ist ein Speicher von Erinnerungen und Erfahrungen. Sie ist der Träger von Bildung und Kultur und der zentrale Zugang zum sozialen Leben. Sie ist wesentlich dafür verantwortlich, wie sich Menschen verständigen und ihren Alltag bewältigen.

Welche Auswirkungen hat es, von heute auf morgen die gewohnte Sprache hinter sich lassen zu müssen? Was bedeutet es, eine neue, fremde Sprache sprechen oder erst erlernen zu müssen? Durch die Flucht ins Exil werden Mitglieder einer Sprachgemeinschaft auch vom lebendigen Gebrauch der Sprache abgeschnitten (wie es etwa Lion Feuchtwanger formulierte). Der im Wortschatz mitschwingende Assoziationsreichtum, die Vielschichtigkeit von Bedeutungen und die Aktualität des sprachlichen Ausdrucks müssen in der Fremdsprache neu erlernt werden.

Besonders für schreibende Künstler im Exil, Schriftsteller, Filmautoren und Dramatiker, ist der Sprachwechsel eine zentrale Erfahrung, die oft auch produktiv umgesetzt wird. Für andere kann der Verlust der eigenen Muttersprache, die als künstlerische Grundlage verstanden wird, zum Problem werden. Für viele reißt damit auch der Kontakt zum ursprünglichen Publikum vollkommen ab. Texte vieler Autoren erschienen nur noch in Übersetzung. Viele nach 1933 aus Deutschland emigrierte Künstler hielten dennoch an der deutschen Sprache fest. Die Reflektion über das Sprachproblem findet sich wie ein Leitmotiv in zahllosen literarischen Werken und Aufzeichnungen von Exilanten.

Dass seine Philosophie und die deutsche Sprache nicht voneinander zu trennen seien, bemerkte der Philosoph und Komponist Theodor W. Adorno und begründete damit seine Rückkehr aus dem New Yorker Exil 1953. Er, ebenso wie Hannah Arendt, verknüpfte sein philosophisches Denken und den intellektuellen Austausch mit seiner Muttersprache.

Doch nicht alle Formen von Exil führen automatisch zu einem Verlust oder Wechsel der Sprache. Viele Künstler, die beispielsweise nach Gründung der DDR und den zunehmenden Einschränkungen nach Westdeutschland flohen, verloren ihre vertraute Kultur und die sozialen Beziehungen. Aber sie verloren nicht ihre Muttersprache, wie etwa auch die Schriftstellerin Herta Müller. Trotzdem sahen sich viele als Exilanten.

Welche Rolle spielt die Sprache im Zeitalter weltweiter Migration? Durch die globalen Wanderungsbewegungen entstehen heute in vielen Ländern Gemeinschaften von Migranten, deren Mitglieder sich untereinander oft auch mehrsprachig oder zwischen den Sprachen verständigen können. Für den kulturellen Austausch und die unvermittelte Verständigung im Alltag bleibt die jeweilige Landessprache dennoch notwendig. Teil der Sprachgemeinschaft zu sein, bedeutet einen Zugang zu gesellschaftlicher und kultureller Teilhabe. Der Philosoph Ernst Bloch, selbst Emigrant und 1948 nach Leipzig remigriert, sagte 1939 dazu in einem Vortrag: „Man kann Sprache nicht zerstören, ohne in sich selber Kultur zu zerstören. Und umgekehrt, man kann eine Kultur nicht erhalten und fortentwickeln, ohne in der Sprache zu sprechen, worin diese Kultur gebildet ist und lebt.“ (Ernst Bloch, Zerstörte Sprache – Zerstörte Kultur, 1939)

Weiterführende Literatur:

Bischoff, Doerte / Komfort-Hein, Susanne (Hg.): Literatur und Exil. Neue Perspektiven. Berlin: De Gruyter 2013
Kertész, Imre: Die exilierte Sprache. Essays und Reden. Frankfurt/M. 2003
Troller, Georg Stefan: Sprache und Emigration. Vom Überleben der deutschen Künstler in erzwungener Fremde. In: Lettre International 87, Winter 2009, S. 94-99
Krohn, Claus-Dieter / Rotermund, Erwin / Winckler, Lutz / Köpke, Wulf unter Mitarbeit von Sonja Hilzinger (Hg.): Sprache – Identität – Kultur. Frauen im Exil (Jahrbuch für Exilforschung Band 17). München: edition text + Kritik 1999
Schmitz, Walter / Bernig, Jörg (Hg.): Deutsch-deutsches Literaturexil. Schriftstellerinnen und Schriftsteller aus der DDR in der Bundesrepublik. Dresden: w. e. b. Universitätsverlag und Buchhandel 2009
Weiss, Peter: Laokoon oder Über die Grenzen der Sprache. In: Rapporte. Frankfurt/M. 1968, S. 170-187

Galerie