Deportationsbestätigung

Oskar Pastior: Deportationsbestätigung auf rumänisch und deutsch
DLA Marbach, Nachlass Oskar Pastior, © Prof. Dr. Klaus Ramm

Deportationsbestätigung

Junges Museum

Überschrift: Adeverinta. Zehn Zeilen plus Stempel und Unterschrift. Soviel lässt sich über dieses Exponat schon mal sagen. Doch will man wissen, worum es eigentlich geht, wird die Sache schon schwieriger, schließlich handelt es sich um ein rumänisches Dokument.

Die deutsche Übersetzung lautet: "Hiermit wird bestätigt, dass Pastior Oskar Walter, geboren am 20., Monat X., Jahr 1927 in der Ortschaft (Gemeinde, Stadt) Hermannstadt (Sibiu), Bezirk Hermannstadt (Sibiu), von Januar 1945 bis zum 18. Dezember 1949, zu welchem Zeitpunkt er ins Land zurückkehrte, in der U.d.S.S.R. zur Wiederaufbauarbeit war. Ausgefolgt wurde ihm diese Bestätigung zur Ausfüllung des Arbeitsbuches gemäß Dekret 256/1958."

Das Original ist mit dem Stempel des rumänischen Innenministeriums versehen und wurde vom Direktor unterschrieben. In der Übersetzung fehlt das Siegel. Stattdessen erkennt man den Stempel eines katholischen Pfarramts. Ein Pfarrer aus Gartenberg hat am 27. Mai 1968 handschriftlich die Richtigkeit der Übersetzung bestätigt. Gartenberg ist ein Ortsteil von Geretsried (Bayern), in dem sich das Flüchtlingslager befand, das auf Pastiors Registrierschein eingetragen ist.

Herta Müller, Schriftstellerin und gute Bekannte Pastiors, schreibt zum Thema Deportation und Zwangsarbeit: "Es gab Listen, jeder wurde polizeilich zuhause 'ausgehoben', zu den Sammelstellen und dann zum Bahnhof gebracht. Der Transport im Viehwaggon dauerte mehrere Wochen. Niemand wusste, wohin die Fahrt geht."

Auf diesen Listen standen Deutsche und deutschstämmige Personen, die nach der Machtübernahme des kommunistischen Regimes 1944/45, also noch während des Zweiten Weltkrieges, zwangsdeportiert wurden. Nachdem Rumänien das Waffenbündnis mit Deutschland aufgekündigt hatte, machten die Sowjets die deutsche Minderheit in Rumänien nun für die Nazi-Verbrechen verantwortlich.

Die Deportationsbestätigung wurde 16 Jahre nach Pastiors Rückkehr aus der Ukraine ausgestellt. Sie trägt die Nummer 73 643. Das Datum 22. Juni 1965 wurde per Stempel eingetragen. Was die Nummer wohl bedeutet? Vielleicht war Pastior der 73 643. ehemalige Zwangsarbeiter, der sich so eine Bestätigung ausstellen ließ?

Geradezu beschönigend klingt das Wort "Wiederaufbauarbeit" in diesem Zusammenhang. Zwar lautete so die offizielle Bezeichnung, letztendlich verschleiert und beschönigt dieser Begriff aber die körperlich schweren Arbeiten, die unter menschenunwürdigen Bedingungen, von den teils noch sehr jungen Frauen und Männern verrichtet werden mussten.

Hunger, Kälte und Angst vor drohenden Strafen prägten den Alltag im Lager. Vor diesem Hintergrund wirkt dieses Dokument verharmlosend und beschreibt nicht annähernd die Erfahrungen der Deportierten. Der junge Oskar Pastior, der sein Leben doch zu diesem Zeitpunkt erst vor sich hatte, wurde von eben diesen Erfahrungen in Leben und Werk geprägt. Als Betrachter lässt sich nur erahnen, welcher Willensstärke es bedurfte und wie wichtig jeder noch so kleine Hoffnungsschimmer damals war.

Vielleicht ist genau das der entscheidende Punkt, an dem wir feststellen müssen, dass uns das Verständnis für diese schlimmen Erfahrungen fehlt, die für Oskar Pastior, sein Werk und sein Schaffen so prägend waren. Vielleicht können wir deshalb manche Passagen von Pastiors Gedichten nicht verstehen. So, wie wir die Zeit im Lager nur in einzelnen Teilen rekonstruieren und nachvollziehen können, andere Teile für uns aber für immer verborgen bleiben, so werden uns auch in seinen Werken vermutlich manche Zeilen ein Rätsel bleiben.

Eine Frage bleibt offen: Warum beantragt Pastior erst 16 Jahre nach seiner Entlassung diese Bestätigung? Denn bereits 1959 bestand die Möglichkeit, sich eine solche ausstellen zu lassen.

Auch hier lassen sich nur Vermutungen anstellen: Vielleicht sah sich Pastior erst zu diesem Zeitpunkt, an dem er einen gewissen Abstand gewonnen hatte, in der Lage, sich dem Thema wieder zu stellen. Vielleicht wollten aber auch so viele der ehemaligen Deportierten eine solche Bestätigung beantragen, und es entstanden Wartelisten. Denn schließlich war Pastior einer von Tausenden, worüber man sich an dieser Stelle auch bewusst werden sollte.

Pastior selbst beschreibt seine Gefangenschaft als "Nullpunkt der Existenz". Und dieser Deportationsschein ist die nüchterne Bestätigung dieser prägenden Erfahrung.

von Helena Haug, Mae Pfeifer und Anna-Lena Wirsching