Jesse Thoor an Hubertus Prinz zu Löwenstein (November 1938)

Jesse Thoor: Brief
Jesse Thoor an Hubertus Prinz zu Löwenstein (November 1938) kommentiert von Cori und Ricca
Deutsches Exilarchiv 1933-1945 der Deutschen Nationalbibliothek, Personenakte American Guild for German Cultural Freedom, EB 70/117, © Thomas Sessler Verlag, Wien, www.sesslerverlag.at

Jesse Thoor an Hubertus Prinz zu Löwenstein (November 1938)

Junges Museum

Lieber Herr Prinz Hubertus zu Löwenstein!

Nach einigen vergeblichen Versuchen dieses Land verlassen zu können, bin ich nun wieder hier in Brünn gelandet. Ich fand einen Brief von Ihrem Sekretär, Herrn von Zühlsdorff, und noch einen, mit zwei Urteilen über meine Arbeiten. [...] Ich war und bin ein Einzelgänger, und ich habe es vorgezogen meine Pflicht ohne jeden grossen Tamtam zu erfüllen.

Jesse Thoor an Hubertus Prinz zu Löwenstein (November 1938)


Vor mir liegt ein Brief von Jesse Thoor an Prinz Hubertus zu Löwenstein, den er im November 1938 geschrieben hat.

Ich denke, Jesse Thoor war verzweifelt, weil er vergeblich versucht hat aus dem Land zu flüchten. In seinem Brief schreibt er, dass er in einer sehr schwierigen Lage ist, denn er musste 1933 nach Österreich flüchten. 1938 floh Jesse Thoor weiter nach Brünn. Jesse Thoor war ein Pseudonym, eigentlich hieß er Peter Karl Höfler. Wenn ich in Jesse Thoors Lage gewesen wäre, würde ich vermutlich auch verzweifelt sein. Er hatte keine Bleibe und auch kein Geld. Außerdem war sein österreichischer Pass Ende Dezember abgelaufen, was bedeutet, dass er staatenlos war. Er fühlte sich einsam und vergessen, als würde er einfach von der Welt ausgestoßen werden. Jesse Thoor bittet in seinem Brief um Hilfe, weil er ohne die Unterstützung verloren scheint. Jesse Thoor ist mehr als traurig und ängstlich. Ohne ein Visum sitzt er fest. Wenn ich das alles erleben würde, würde ich mich nicht mehr sicher fühlen. Ich würde verzweifelt sein und mir unglaubliche Sorgen um mein weiteres Leben machen.

Cori



Vor mir liegt ein Brief, den Jesse Thoor im November 1938 an Prinz Hubertus zu Löwenstein geschrieben hat. Jesse Thoor, Sohn eines Tischlers, lebte nach der Machtergreifung Hitlers in Wien und arbeitete als Tischler, Bildhauer und Silberschmied. 1938 floh er in die Tschechoslowakei, da er Anhänger der kommunistischen Partei und somit politischer Gegner Hitlers war. 1938 erreichte Hitler im „Münchner Abkommen“, dass die sudetendeutschen Gebiete dem Deutschen Reich „angeschlossen“ wurden. Die Tschechoslowakei verlor dadurch 30% ihres Gebietes, war aber weiterhin Zufluchtsort von Nazi-Gegnern.

Wenn man diesen Brief liest, spürt man, dass Jesse Thoor sehr verzweifelt war: Er fragt Prinz zu Löwenstein in seinem Brief sehr direkt nach einer Bescheinigung, die ihm helfen könnte, nach England auszureisen. Er beschreibt seine Situation ausführlich. Offensichtlich war er sehr einsam. In Brünn wollte er nicht bleiben, weil es ihm dort nicht gut ging. Er erwartete keine Hilfe von anderen, weil er dachte, dass er sowieso keine bekäme, da er ein Einzelgänger wäre. Jesse Thoors Pass lief im Dezember 1938 aus und der Stempel im Pass war zudem nicht mehr gültig. Wenn ich in der Lage Jesse Thoors wäre, würde ich mich ebenfalls sehr einsam fühlen. Ich kann verstehen, dass er nicht dort leben wollte, wo es ihm nicht gefiel, wo er sich nicht wohl fühlte. Anscheinend hatte er nicht viele Freunde und Bekannte in Brünn, sonst hätte er nicht Prinz Hubertus zu Löwenstein um Hilfe bitten müssen, der zu dieser Zeit in Amerika lebte. Ohne gültigen Pass kann man auch heute nirgendwo außerhalb Europas verreisen. Wenn ich keinen Pass hätte, würde ich mich sehr eingesperrt und unfrei fühlen. Ich glaube, dass sich Menschen zu jeder Zeit gern frei fühlen und leben möchten, wo sie wollen und reisen möchten, wohin sie wollen.

Ricca

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